vor über einem jahr hatte ich mich entschieden, gefühlsfrei leben zu wollen. aus klischeekindischen gründen (das übliche: liebeskummer, streß, schlechte laune, doofes fernsehprogramm u.dgl.), aber doch aufgrund einer wohldurchdachten und rationalen entscheidung. projekt "änderung des egos von heute auf morgen" (beta-test ein bis zwei monate lang, dann release und bugfix, stabile version für den produktiveinsatz rund drei monate nach projektstart). keine sorgen mehr seitdem, kein kummer, kein herzschmerz. nicht mehr verlieben. oberflächlicher und egoistischer werden, im positiven sinn. nichts mehr an sich rankommen lassen, aber, hey, no hard feelings, einfach mal ausprobieren, wie sich das so lebt. die anzahl der freunde auf fastnull runterfahren, die anzahl der bekannten maximieren. spaß haben. kleine ego-kicks und glückshormonomente, lokale maxima, kann man sich ja auch anders beschaffen. begeisterungsfähigkeit für details anstatt allgemeiner selbstaufgabe, kurzzeitigeres anschmachten von personen anstatt langzeitverliebung, kritik nicht nur einstecken und verarbeiten sondern von vornherein gar nicht mehr erst wahrnehmen.
und dann gibt es da diese nächte der drawbacks, diese momente des zweifels, ob man überhaupt glücklich sein kann ist, wenn einem jeglicher herzschmerz, jede trauer und jedes mittelgroße problem einfach entgeht. da möchte man sich endlich mal wieder das herz brechen lassen, einfach nur um zu überprüfen, ob man noch etwas spürt. oder wenigstens aus neugier, weil man's so lange nicht mehr gespürt hat. da beneidet man pärchen, die sich gerade trennen. da ärgert man sich, daß songtexte von meret becker einen nicht mehr im hirn erreichen, daß man keinen gedanken mehr findet, wenn man nachts in den sternenhimmel starrt, daß einem auch nach mehrfachem durchblättern des mobilfon-adreßbuches keine person einfällt, der man eine "na, wie geht's?"-kurznachricht schicken möchte. daß die "flamme der seele" nicht mehr deutlich brennt (fast hätte ich "lodert" geschrieben), sondern zu einer fußbodenheizung mit servicevertrag mutiert ist.
"constant shallowness leads to evil", steht auf meinem coil-shirt.
und dann kramt man, in diesen nächten, nochmal seine damals ironischerweise völlig rational getroffene (und natürlich ausformuliert aufgeschriebene (ich war schon immer ein nerd)) entscheidung über sein gefühlsleben hervor; bringt diese sowohl mit coil als auch der momentanen laune in einklang; grinst beim lesen der "pro"- und "contra"-spalten; legt eine neue liste nur mit "pro" an, die die begriffe "begeisterungsfähigkeit", "staunen", "entdecken", "leben", "spaß" und "konsequenz" in verschiedenen ausformulierungen und bleistift-strichstärken enthält; fabuliert sich noch dinge wie "radikalität", "straight edge", "glück" und wieder "begeisterungsfähigkeit" hinzu; staunt dann doch über sich selbst, aber gerade nur soviel, daß es ganz knapp noch nicht in ein ungesundes ego ausartet; schiebt alle bedenken beiseite und hält sich statt dessen die vielen leute im bekanntenkreis vor augen, die mit all den oldschool-problemen wie liebeskummer zu kämpfen haben; legt die kanashii-lp von erik ursich auf; starrt in den sternenhimmel und lächelt.
na, klappt doch alles. und 'n bißchen selbstbetrug is' ja eh immer.