überflussland

an einem samstagvormittag im überflussland an der supermarkt-kassenschlange stehend, die sich durch den halben laden, und selbst dessen fläche wird vermutlich in fußballfeldeinheiten ausgedrückt, zieht, hat man viel zeit für vulgärpsychologisches denkwerk. über angebot und nachfrage, also inhaltlich, über das bizarr riesige angebot, angefangen bei binsen der sorte "wer benötigt auswahl aus 70 sorten schokolade?" über meta/phern wie "einkaufswagen-verkehrsregeln und autodeutschland, ein kulturhistorisches vergleichchen" bis zu ganz konkret belauschten kassennähedialogen zwischen achims und manfreds ("also ich hätt’ sowas ja annerscht organisiert hier"), aber irgendwie ist ja auch alles nur eine angelegenheit von überangebots-aspekten in so einem kapitalismus wie diesem hier. die systemfrage stellt natürlich niemand, jedenfalls nicht laut, nur der eine typ mit kopfhörern auf höhe der tiefkühltruhen in der kasse4-schlange vielleicht, der mit den schwarzen klamotten und dem kapitulierenden blick über der ffp2-maske, einer der wenigen in diesem laden, also sowohl einer der wenigen masken als auch einer der wenigen typen mit kapitulierendem blick, aber das ist auch nur hochrechnung bzw extrapoliert aus eigentlich viel zu wenig vorliegenden stichprobendaten. fair enough.

das überangebot jedenfalls, das bei so einem einkaufs-samstag aus allen poren trieft, dem man sich nicht entziehen kann, auch nicht als kopfhörertragender "zwei brötchen und ein paar erdbeeren für die eltern"-besorgender kapitulationsprofi, ist erschlagend in beide richtungen gesellschaftlich (fast hätte ich "klassen" gesagt): die, die hier arbeiten müssen und KONSUM und kunden (..) ertragen müssen während ihrer eigentlichen arbeit, spüren es zwangsläufig, - und jene, die gar nichts davon bemerken und zwischen gemüsekonserven und teigwaren einen "MITARBEITER" anherrschen, wieso denn die vollkornpasta schon wieder nur von de cecco und nicht von barilla im regal steht, auch die nichtsbemerker werden vom überangebot erschlagen, nur zeitversetzt und vielleicht eher subtil und gesamtgesellschaftlich. dass das hier psychisch, körperlich, moralisch, ethisch gesund wäre für irgendwen, kann niemand mehr behaupten. ein bisschen nur rausgezoomt, der alienblick auf das, was hier und anderswo und überall und systemisch PASSIERT an so einem samstagvormittag und eigentlich nicht nur dann, aber dann am deutlichsten, macht im besten sinn perplex und im schlechtesten krank.

"haben sie die erdbeeren gewogen?" fragt mich die kassiererin, ich antworte wahrheitsgemäß "huppsa, nein, hätte man das müssen?", erspare allen beteiligten die erklärung, dass ich hier in JENEM konsumtempel zum ersten mal einkaufe, füge per geistesblitz hinzu "keine sorge, war absicht, damit sie kurz durchatmen können -- ich geh’ kurz wiegen" und verschwinde mit den erdbeeren zur extrakasse, wo ich den laden weiter aufhalte, weil mir die NUMMER der erdbeeren nicht auswendig bewusst ist und weil ich erst mal an der frage verzweifle, ob ich meine erdbeeren in einer "papiertüte dünn", "papiertüte dick", "kartonschale" oder "kartonschale mit deckel" wiegen möchte, wo ich sie ja vorhin mit der standard-pappschale IN eine papiertüte gepackt hatte und naja, das moderne leben überfordert mich nicht erst seit ich 30 wurde, also "keine tüte" angeklickt, trotzdem fucking 12 euro für ein paar erdbeeren. es sollten einfach alle mehr und öfter scheitern im überflussland. als ich an die kasse zurückkomme mit meinen jetzt korrekt gelabelten erdbeeren, bilde ich mir ein ganz vorsichtiges grinsen der kassiererin ein, als sie sagt, ich hätte "deutsche" erdbeeren gewogen anstatt "spanische", wir beschließen aber, dass uns das egal ist in diesem moment, ich freue mich über pluspunkte gegenüber ihr und weil ich schon ahne, dass ich später einen charmant-harmlosen kapitalismuskritiktext ins internet säuseln werde.

achim und manfred bleiben dann so passgenau vor mir und allen anderen im ausgangsbereich stehen, dass sie einen stillstandstau an der engstelle im einkaufswagen-verkehrsregel-überflussdeutschland verursachen, aber niemand regt sich darüber auf, ich wundere mich, vermute aber auch da noch eine versteckte metapher für irgendwas. auf der heimfahrt (800 meter mit dem auto) denke ich mir diesen text aus.

( bildquelle: >_ )