meine erste buchmesse

als ich mit 15 zum ersten mal auf der cebit war, gab es nur wenig wichtigeres als das abgreifen von werbegeschenken wie kugelschreibern, plastiktüten oder gratis-disketten mit demoversionen. der entsprechende sammeldrang ließ im lauf der jahre nach, oder vielleicht wurde ich auch nur wählerischer - prinzipiell kann ich gute plastik-kugelschreiber noch immer gebrauchen, nur sortiere, zähle und tausche ich diese nach einem messetag nicht mehr, sondern stecke ihn (singular) zufrieden in die jackentasche. früher ging der gierige blick in richtung promo-material, heute geht er in richtung der hostessen (ach, "messebabes" heißt das ja heutzutage).

auf der buchmesse in leipzig ist das anders. kids rennen auch hier rum, aber .. dazu komme ich später. die gierigen blicke und den offen zur schau gestellten jagd- und sammel-instinkt sieht man hier an 45- bis 55-jährigen familienvätern marke studienrat. wegen literatur, wegen der bücher oder der verlage ist hier nur ein bruchteil unterwegs. familien drängeln sich durch menschenmassen, um eine 5 tage alte spiegel-ausgabe kostenlos zu ergattern, 1.65m große bärtige brillenträger mit jack-wolfskin-tasche greifen zu schokokeksen an informationsständen von verlagen, ohne die mitarbeiter oder hostessen auch nur anzusehen, und das sog. ski-lift-phänomen (direkt hinter ein- oder ausgängen erstmal abrupt stehenbleiben und sich umschauen) wird hier perfektioniert.

"publikumsnähe" wird das in leipzig genannt, klärt mich andrea auf. publikumsnähe in leipzig heißt nicht nur, daß die bratwurst erschwinglich ist und der kaffee vergleichsweise genießbar, sondern auch, daß maik, danny und enrico am patschhändchen ihrer eltern über messen geschleift werden, "weil wochenende ist" - anstatt um das interesse für literatur oder allgemein intellektuelle betätigung zu wecken. ich überlege, ob ich nicht ganz gern auf ein wenig publikumsnähe verzichten würde, wenn dafür die gänge ein wenig begängbarer wären. aber vielleicht möchte leipzig sich auch nur endlich mal wie eine großstadt fühlen.

tokio ist schließlich auch gleich nebenan. in der kiddie-halle nämlich, dem "comic"-zentrum bzw. manga-city, am rand von halle 2. hier merke ich zum ersten mal, daß ich alt werde. alt bin. ich lebe mein noch vorhandenes rest-distinktionsbedürfnis aus, indem ich vorgebe, insider zu sein, und abfällig, aber freundlich, über ältere ehepaare lächle, die offenbar aus versehen in dieses sodömchen (und meinetwegen auch gomorrha) hineingeraten und leicht geschockt sind ob dessen, was "ihre kinder" so machen. wenn das pfingstige wave-gotik-treffen eine freakshow im musikbereich darstellt, so ist die manga-halle der leipziger buchmesse das pendant für minderjährige popkultur. sailor moons wohin man schaut, anime-insider-gags auf jedem zweiten plakat und vollkostümierte live-rollenspieler beim teetrinken neben dem "dojinshi-markt". maximal ein drittel des publikums ist nicht verkleidet. juhu, ich bin eine minderheit.

das anfängliche "huch!" wich dann recht schnell einer echten bewunderung - bewunderung für das freakige, die hingabe, das beschäftigen mit einer sache, von der ich fast nichts verstehe, aber die ich doch spontan für ehrlicher, wohltuender und kreativer halte als jegliches popstar-angehimmle, oder was kinder sonst in diesem alter eben tun. (und als jegliches werbegeschenk-eingesammle im alter von 50 natürlich auch. aber das muß ich hoffentlich nicht betonen.)

ja, nett war's. aber ein halber tag buchmesse reicht dann eigentlich auch.

[und da mir sowas ja eher nicht liegt: über den teil mit der weblog-relevanz berichten andrea und don (beide allerdings ohne carolina zu erwähnen, die frau mit der süßesten nase am spiegel-stand (und wahrscheinlich auf der ganzen messe) - was ich hiermit zumindest indirekt nachhole).]

the arcade fire - funeral

fahrstuhlmusik wie "3 doors down" als "rock" zu bezeichnen ist ja auch kein privileg alter säcke mehr. jungspunde, weblogger und kombinationen aus beidem machen mit "the arcade fire" schließlich fast das gleiche.

(langweiligster blindkauf seit langer zeit. beim hören wieder an meine zeit als fanzine-rezi-zusammenbastler denken müssen, die sache mit der erwartungshaltung und dem fan-sein bei neuen veröffentlichungen und dem nie umgesetzten vorhaben, damals schon, neue releases ausschließlich ohne cover und auf plain-cd-r haben und nur allein im auto und sehr laut hören zu wollen, bis nach dem redaktionsschluß. ich werde "funeral" jetzt ganz nach hinten ins regal (- im übertragenen sinne natürlich, in wahrheit dann doch unter "a" wie "arcade fire") einsortieren und darauf hoffen, daß in frühestens einem jahr der zauber wieder da ist, wenn ich sie zum ersten mal mit besserem setting anhören werde.)

aber sachen, auf denen "montréal" steht, haben's bei mir nunmal zwangsläufig wirklich schwer.

[für 2009 hab' ich mir dann coldplay vorgenommen.]

black box

erik niedling, black box #2

erik niedling, black box #2, 40 x 30 x 7.5 cm.

[ ich war bekanntlich eines der kinder, das in der schule beim zusammenstellen von teams immer als letzter dran war ("wir spielen gern mit einer person weniger, wenn der frank bei euch mitmacht!?"), habe zu mannschaftssportarten also nicht nur deswegen ein überhaupt nicht gespaltenes, sondern vielmehr offen-feindliches verhältnis. ein turnier der tabellenletzten muß also unterstützt werden, auch wenn's erstmal nur durch einen link ist. ]

skandal bei "wer wird millionär?" - alle vier antworten falsch.

was versteht man unter einem blog? - tagebuch, schulform, feindl. übernahme, heißluftfront

[ daß die blogosphäretiker humor- und oft auch hirnlos sind, ist ja allgemein bekannt. bis vor ein paar tagen hatte ich noch gehofft, daß speziell meine leser doch eigentlich ..
ach, was red' ich. wenn ich auch nur noch einen einzigen link auf diesen eintrag bekomme, in dem mir der autor des textes unterstellt, ich hätte die bezeichnung "skandal" bzw. ebendiesen gesamten eintrag hier obendran wirklich ernst- und somit ironiefrei gemeint, dann .. weine ich bitterlich. dämliches merkbefreites volk. ]

früher war alles besser.

das ist natürlich quatsch. einerseits aus rein logischen gründen (nach dem spiel ist vor dem spiel), andererseits sagen sowas nur möchtegernkonservative ohne rhetorikausbildung. und konservativ bin ich höchstens auf eine progressive art (eat this, interpretatoren!). aber: so ein schlagwort, bzw. schlagsatz, lenkt die aufmerksamkeit hierher und grenzt grob ab, worum es gehen soll in den folgenden paar absätzen: ich mache mir sorgen über die entwicklung der technischen neugierde der jugend.

aber dazu muß ich wahrscheinlich ein bißchen weiter ausholen.

früher wäre ich nie auf die idee gekommen, daten auf ein technisches gerät auf eine andere art als "direkt" zu überspielen. die daten waren in einer form (programm-listing, midi-datei, vinyl, ..) vorhanden und mußten in ein gerät bzw. medium gebracht werden. dies geschah über ein kabel, einen laser, eine nadel, abtippen - jedenfalls auf direktem wege. analoge daten wurden ggf. digitalisiert, digitale daten konnten - logischerweise und vor allem ganz ihrer natur entsprechend - verlustfrei "kopiert" werden. keiner störte sich daran, war es doch naheliegend und konsequent.

inzwischen wurde eine mittelbarkeit eingeführt, die mich irritiert. oder besser gesagt, es irritiert mich, daß sich niemand (jedenfalls: fast niemand) daran stört. hätte man uns früher erzählt, eine musikdatei "dürfe" man nur soundsooft abspielen, wir hätten denjenigen ausgelacht. digitale daten, nullen und einsen. die kann ich so oft abspielen, wie ich will, notfalls programmiere ich mir dafür selbst software. software, die mir ein abspielen nicht gestattet, ist defekt oder eben für diese aufgabe nicht geeignet. sich von einer software, einem "drm"-system oder anderen marketing-fritzen auf der technischen seite bevormunden zu lassen, nicht mal diese möglichkeit ist uns damals eingefallen.

blogger-lieblingsthema klingeltöne: auch hier, das gleiche phänomen. ein "klingelton" besteht, im weitesten sinne vergleichbar mit einer midi-datei, aus einem "notenblatt", einer anweisung, welche töne wann und wie lang und wie laut abgespielt werden sollen. diese klingeltöne hat man früher selbst-"komponiert", entsprechende textfiles (rttl-format, anyone?) oder midi-dateien auf direktem wege in das telefon geschubst (kabel, infrarot, wie auch immer) - und wenn wir ein betreiberlogo haben wollen, haben wir uns mit einer bildbearbeitung hingesetzt, ein 72×18 pixel großes monochromes bitmap erzeugt und das auf ähnlichem wege ins telefon geladen. daß man solche kunstwerke seinen freunden dann auch per sms schicken konnte, führte zu einem gesteigerten technischen interesse (umsetzung von 8bit nach 7bit, anfallende datenmenge, sms-kosten, usw.), aber im traum dachten wir nicht daran, daß jemand in hinreichendem ausmaß jemals damit geld verdienen könnte, indem er mit solche einem business wirklich kohle macht. wenn mein telefon mp3-dateien (als klingelton) prinzipiell abspielen kann, wieso denken so wenige leute dann daran, sich ihren "klingelton" selbst aufzunehmen? [in ordnung: statussysmbol, jugend, clique, das ist wieder ein anderes thema. zugegeben.]

es geht mir gar nicht darum, daß alle menschen nerds sein sollen und jedes bit in ihrem rechner persönlich kennen. es geht mir auch nicht mal darum, daß man sich für so etwas interessieren müßte. könnte. dürfte. es geht mir fast nur darum, daß ich den einzug dieser mittelbarkeit beobachte, der mir sorgen macht: keiner wundert sich mehr darüber, daß musik im netz mit hör-berechtigungs-scheinen verkauft wird. niemand kommt ins grübeln, was er dabei genau tut, wenn er versucht, eine "kopiergeschützte" cd abzuspielen (und der datentrack mit autorun und windows-playersoftware eingreift). niemand mehr denkt darüber nach, was er da genau tut, wenn er eine mp3-datei erstellt, sondern man freut sich über "data beckers mp3-toolbox" und merkt nicht mehr, was man da jeweils tut. alles wird verkapselt, alles wird versteckt, verschleiert. dinge werden abstrakter, produkte werden abstrakter, güter werden abstrakter (früher die cd, heute das recht zum anhören). ich will keine kommandozeilenorgie, um ein wav-file nach mp3 zu konvertieren, aber ich will mehr als einen "button", auf den ich "die cd ziehen" muß, und schwups ist ein verkrüppeltes wma-file entstanden, daß "mp3" im vornamen trägt, nur weil das die erwartungshaltung der zielgruppe ist und der rest nicht mehr interessiert.

die jugend von heute (daß ich sowas mal schreiben und es ernstmeinen würde!?) bekommt eingeimpft, das sei normal. handy-melodien "kauft" man bei jamba, musik bei itunes für den ipod, das copy-control-logo auf musik-cds wird zur normalität, .. und all das fängt sogar schon an der stelle an, an der ein windows per default nach der installation die datei-extensions im explorer ausblendet). keiner merkt mehr, was er tut, wenn er etwas tut, und niemanden stört das. das wiederum stört mich.

ich befürchte, ohne allzu dramatisch klingen zu wollen, im lauf der nächsten 10-20 jahre, einen verlust gewisser grundlegender kulturtechniken aus dem bereich technologiekompetenz, die "hätten entstehen können", wenn man verschiedene tasks mal mit einem hirn angeht anstatt per magix-software. eine dvd soll ich nicht "kopieren" können? wieso nicht? weil mir meine hardware vorschreibt, ich dürfe es nicht? es geht hier gar nicht um den rechtlichen aspekt - aber der glaube daran, das müsse so sein, das nicht-mehr-ahnen, daß das alles auch anders geht - gehen sollte - das macht mir langsam wirklich zu schaffen.

auf lange sicht führt genau dieses fehlen von hinterfragen alltäglicher aufgaben zu gleichgültigkeit im größeren umfang. kameraüberwachung ist notwendig. sagen "die alle". in ordnung, ich hab' ja nichts zu verbergen. der internationale terrorismus bedroht deine kinder, deswegen müssen deine telefonate abgehört und kontoauszüge kontrolliert werden? nur zu. wird schon stimmen. und es mag in der tat ein gewagter schluß sein, vom einem kontrollverlust über seine klingeltöne und musikdateien argumentierend auf den großen lauschangriff zu kommen, aber - ich bin mir sicher, daß die "gleichgültigkeit im volk" ähnliche wurzeln hat. die skepsis geht verloren, die unmittelbarkeit zu den dingen, die neugierde, das hinterfragen - und all das halte ich mit meinen zarten knapp 30 jahren, ohne philosophisch gesellschaftlich kritischen studien-hintergrund, für weit mehr als nur bedenklich. (und wenn ich in diesem ganzen kontext auch noch nur ansatzweise über die möglichkeiten/gefahren von rfid nachdenken würde, müßte ich wahrscheinlich weinen.)

ich beginne angst zu haben vor dem tag, an dem die jugend "vergessen" hat, wie das früher, um die jahrtausendwende herum, alles war (und: ich bin mir fast sicher, das werde ich -zeitlich- noch locker miterleben). wie technik funktioniert. daß man sich nicht von seinem kühlschrank vorschreiben lassen muß, was (und wo) eingekauft wird - und daß "internet-telefonie" kein produkt von avm, skype oder 1&1 ist, das in einer roten box kommt, an die man vielleicht sein certified-wireless-phone hängen darf, sondern was da jeweils drinsteckt. was da passiert, wenn eine dvd "abgespielt" wird. zumindest in grundzügen. ich habe angst vor dem tag, an dem die gutgläubigkeit überhand nimmt. und wenn ich jemals kinder haben sollte, werden ebendiese dinge - namentlich skepsis, neugierde und das hinterfragen von sachverhalten - an oberster stelle in ihrer erziehung stehen. in jedem bereich, vom kochen über die politik bis zur kunst. anything that keeps us from verblödung.

("mami, was bedeutet kulturpessimismus?" - "frag' google.")