erinnerungsmaschine

a place to bury strangers

wir basteln uns einen konstruktivismus. erfinden phänomene und resultate, verketten geschichten und personen miteinander. knüpfen und weben. wir bieten schließlich nicht mehr, sondern wir steigern. die arroganz ausleben und sie dekadenz nennen, und manchmal auch andersrum, wer weiß das schon, und zu jeder äußerung und zu jeder konstellation gibt es dann irgendeine theoretischen unterbau, der paßt.
der zufall wird aus-geblendet, indem wir die leistung der halogenstrahler so hoch drehen, daß wir dabei lachen müssen. alles nur für's jahrbuch. damit wir uns eine drittel generation später einreden können, wir hätten das erlebt. wir hätten das gespürt. dem fortschritt die leugnung: progressing the inner self, gerade so als wäre es ein schlechter mathematikerwitz. besteficken nach der party. dem sonnenaufgang eine verklärung: suggestion auf eine art, die wir positiv belegen, schließlich kann das "selbst-" am anfang auch gut weggelassen werden. umdribbelung der hürden, kein darüberspringen. der hürde kann's ja egal sein.
keine statik mehr, nur noch kräfte und diagramme und beschreibungen. wirrniss mit komplexität verwechseln, anstrengung mit coolness. tagsüber ist uns das peinlich, oder wir ignorieren es gekonnt, dank ablenkung vom wesen, vom eigenen, von dem der dinge, von dem der welt um uns herum. und nachts haben wir dafür diese kurzen momente, glimpses, in all die spuren, die wir selbst getreten haben, in die furchen, die wir anderso hinterlassen haben, in die semantik der fremden blicke. dann erschrecken wir. aber kleben diesen schreck zu all dem anderen mist ins diary egal welchen mediums.
ich habe so viel verlernt.

2008 // (suffering from) the tragedy of perfection

last night, when we were young
love was a star, a song unsung
life was so new, so real so right
ages ago last night

zwotausendacht also (denn sobald man "zwo" statt "zwei" sagt, klingt das ein bißchen wie "potzblitz" oder sogar "potztausend", und das hat charme, redet man sich ein) wurde dann ja doch das seltsamste jahr des jahres. irgendwann mal in einer fachpublikation (also wahrscheinlich in titanic, brandeins oder yps) ein paar gedanken über die bedeutung des begriffs "tragik" gelesen, nämlich: den unterschied zwischen beabsichtigtem (positiven) und tatsächlichem (negativen) ausgang einer handlung, die diskrepanz also zwischen guter absicht und unglücklicher tatsache -- und so gesehen ist dieser ganze mist, den man so in seinem kopf mit sich herumschleppt, all die jahre, natürlich ein tragischer. jedenfalls wenn man den menschen, also sich, ein gewisses streben nach glück unterstellt (und das meinetwegen auch rekursiv ironisch, also wieder in vollem bewußtsein darüber, daß es das streben ist und nicht das glück, das man erreichen möchte, aber über solche dinge möchte sich zu weihnachten (bitte in großbuchstaben denken) im detail dann doch keine gedanken mehr machen).

aber: genau so besehen war dann 2008 selbst ja auch kein wirklich tragisches, denn es war das erste jahr seit vielen, in dem man anfing, sich mit sich zu arrangieren, sich vielleicht auch ein wenig zu verstehen: jenes streben als streben zu erkennen, die utopie als utopie, und die zielkorrektur nicht mehr als selbsttäuschung sondern als notwendigkeit. und wo man keinen bock mehr hatte, hinter jedes "man" ein "(also ich)" - oder umgekehrt - zu schreiben. denn jeder wußte, was gemeint ist.

dream baby dream

zweitausendacht war ruhig, und als man endlich das streben nach unruhe erkannt hatte als mittel zum zweck, als man die erfüllung gefunden hatte im zwischenstadium, im nebel, im morgengrauen, im "longing for", da funktionierte dann auch das mit der musik wieder anders als im verkackten 2007, wo alles noch einem ganz genauen zweck dienen mußte. obwohl man gleichzeitig das gefühl hat, daß man sich wiederholt. nicht mit den worten, aber mit den empfindungen und äußerungen, daß man viel kryptischer einerseits geworden ist, aber viel konkreter auch sich selbst gegenüber, meinetwegen sogar ehrlicher, nach innen. scary, wenn das alles auf einmal so einfach geht. bruce springsteen covert suicide und macht damit den song des jahres, noch ganz kurz vor schluß, der so sehr auf stimmung, stadt, wahrnehmung, situation und seele paßt, wie es sonst nur bands mit gesamtwerk schaffen. und daß gerade springsteen das mal machen würde, das wundert einen dann schon noch irgendwie, aber dem leben darf ja auch mal ein bißchen zynismus zugestanden werden. sowieso super: wie sich aufmerksamkeit verschiebt, wenn dinge passieren. nicht auf die dinge, sondern im umfeld: wie man plötzlich anders sieht, hört, achtet, hüpft, atmet, aufgrund einer formulierung, einer äußerung, eines menschen, eines songs. und daß man diese verschiebung dann bloß nicht mit "verstehen" (oder verständnis) verwechselt.

ich kann mit kollektiv- und konsens-stimmungen (geburtstage, trauer, castingshows, etc.) immer noch nur auf einer eher analytischen ebene begegnen. das liegt am selbstschutz, den ich mir un(ter)bewußt aufgebaut hätte, hat mir kürzlich jemand erklärt, und ich fand, das klang plausibel. ich bin softer geworden, gleichgültiger, oder eher: lässiger. nicht in sachen coolness classic, aber in sachen unverkrampftheit, und ich langweile mich damit schon wieder selbst (und die sieben leser, die ich hier noch habe, wahrscheinlich seit februar). aber wenn es nur wenige dinge waren, die man wirklich gelernt hat im jahr nullacht, wenn man sich wirklich irgendwie progressiv vorkommen möchte, dann doch deswegen: weil einen, geht man unverkrampfter durch das leben, nichts mehr umhaut. manche müssen wohl erst dreiunddreißig werden, um das zu erkennen.

singin' hallelujah with the fear in your heart

das schönste licht des jahres war der frequenzzähler des plattenspielers im dunklen wohnzimmer. ich habe im november den besten kaffee der stadt entdeckt, war im april in taiwan, bin immer noch verknallt in den anblick des fernsehturms in der morgendämmerung. ich habe mittlerweile eine handvoll so guter bekannter, daß ich schon fast von freunden sprechen würde. ich tanze manchmal, wenn ich alleine bin oder betrunken. und ich erfinde neue wörter, wenn ich der meinung bin, daß es keine auf eine situation passenden gibt. ich habe gelernt, gerade linien mit einem stift zu ziehen, indem ich dabei nicht auf die zu zeichnende linie sehe, sondern nur den zielpunkt im auge behalte -- und ich habe mich minutenlang kaputtgelacht, als mir die kitschige bedeutung davon klar wurde. ich kann die frage "was hörst du so für musik?" noch weniger konkret beantworten als 2007, lächle aber noch breiter als damals, wenn mir diese frage gestellt wird.

ich erkenne mich kaum noch wieder. das muß diesem jahr auch erstmal ein anderes nachmachen.

tomorrow is another day

2009 kann kommen, ich wär' jetzt soweit.

miroir noir / neon bible archives

man kann ja nächte nicht nur mit mädchen verbringen, sondern auch mal mit dateien. vor allem, wenn diese dateien musik (und video) beinhalten, 2.14gb groß sind, den titel "miroir noir" tragen, von arcade fire kommen und für erschwingliches geld erhältlich sind (als bonus zur dvd-bestellung für rund 25 euro beispielsweise).

76 minuten, in denen die meisten songs nicht aus-, aber in verschiedenen versionen an-gedeutet werden. 76 minuten, in denen man mehrfach den tränen nah ist, vor freude und begeisterung und demut, und das hatten zuvor nur morrissey und the national geschafft. 76 minuten, in denen die stellen zwischen der musik mit anrufclips der neon-bible-promo-aktion verniedlicht werden. 76 minuten mit exakt der richtigen mischung aus liveaufnahme und backstage-clip. 76 minuten, in denen man lächelt, denn es geht überhaupt nicht anders, wenn man dieser band sofort glaubt, daß sie keinen mist macht, keine "platten rausbringt" sondern eben "musik spielt", daß man allen beteiligten ansieht, wie sehr sie das lieben, was sie leben. 76 minuten, die mit stimmung und farbe und stil und schnitt so grandios umgehen, daß man sich in das alter zurückversetzt fühlt, in dem man noch staunen konnte, ohne darüber nachzudenken, warum man gerade staunt. das alter, in dem der begriff "manisch" noch keinen subtext hatte, jedenfalls keinen negativen.

audience man sieht sich diesen film wahrscheinlich zweimal nacheinander an. man wird beim zweiten mal wahrscheinlich auf andere details aufmerksam als beim ersten mal. man fühlt sich an der einen oder anderen stelle vielleicht so, als wäre man mit der band auf tour. man möchte zwischenfragen stellen und mit den gezeigten menschen lachen. man möchte stagedesignern, beleuchtern, busfahrern und webspaceprovidern persönlich die hand schütteln, und man wird sich mehr als einmal dabei ein bißchen scary vorkommen, weil fanatismus ja auch irgendwie kontrollverlust ist, aber das geht ausnahmsweise in ordnung, schließlich schreibt man für's blog darüber, und das reicht dann ja zur abstraktion. man möchte die kids, die bei den konzerten in den ersten reihen gefilmt wurden, fragen, wie sie die konzerte wahrgenommen haben -- man rechnet hoch vom eigenen filmclip-eindruck auf das live-ereignis, und ahnt. und die ganze zeit, dabei, ist man her- und hingerissen, zwischen bewunderung und begeisterung, nicht nur wenn man arcade fire selbst noch nie live gesehen hat. und man möchte jedem, der nur einen kleinen teil seiner seele für musik übrig hat, diesen film auswendig lernen lassen. und man möchte ihn sich ein drittes mal ansehen und man möchte eigentlich keine nacht mehr anders verbringen.

(ohne jetzt mit mädchen verbrachte nächte generell abzuwerten. aber manchmal habe ich dann wohl doch einen hang zu pathos.)

hidden track

wir könnten versuchen, uns an der stimme zu erkennen. wir könnten so tun, als würden sich die spitzen unserer kleinen finger versehentlich berühren, und wir könnten uns nie ganz sicher sein, ob wir nur so tun. wir könnten reingehen und uns aufwärmen. wir könnten beobachten und dabei lernen, was aufmerksamkeit bedeutet. wir könnten uns gegenseitig unsere fingernägel unterschiedlich bunt lackieren. wir könnten leute anpöbeln. wir könnten nebeneinander gehen und dabei nach vorn sehen, oder uns gegenseitig an. wir könnten versuchen, ernst zu bleiben. wir könnten auch versuchen, in der nase zu popeln und dabei nicht zu lachen, aber das würden wir nicht schaffen. wir könnten über gruppenverhalten sprechen. wir könnten uns interessant machen, und wir könnten uns tarnen. wir könnten uns verfehlen. wir könnten das bedauern. wir könnten ein noch unbekanntes versmaß erfinden. wir könnten uns mal. wir könnten in pfützen springen und uns dabei musik vorstellen. oder wir könnten die musik hören, die uns dabei umgibt. wir könnten uns anbrüllen und dabei die ohren zuhalten. gegenseitig. wir könnten uns ignorieren. wir könnten uns einander vorstellen, und bei dem gedanken an diese doppeldeutigkeit gleichzeitig lächeln, ohne ein wort zu sagen. wir könnten so tun. wir könnten unsere blinzelfrequenz messen und überhaupt, auf viel mehr details achten, die wir dann kurz darauf wieder vergessen, denn wir kennen uns ja noch kaum, und man nähert sich anderen menschen ja doch eher hierarchisch, aber es würde uns für kurze momente sehr glücklich machen. könnten wir wohl.

ein versuch über ungewißheit // (frank erklärt die welt, teil ölf)

aber das, was man verloren geglaubt hatte in these modern times, die sache mit der unsicherheit nämlich -- also das gefährliche, das vage, das unkonkrete, das es damals -im leben ohne netz- so oft gab und von dem man schon fast vergessen hatte, wie es sich anfühlt, während all den stetig durchlaufenden statusposten und befindlichkeitsmeldungen und datenschutzlecks und während all der erreichbarkeit und offenheit, die man neuerdings an jeder stelle spürt, draußen und drinnen, wenn wieder ein neue beta-community irgendwo losrennt oder wenn man darüber nachdenkt, was man so von sich preisgibt und wieviel-zuviel konkret-ness da jetzt wieder drin war -- also dieses vage, dieses schummrige, dieses eigentlich riskante am leben und an all dem, was inter- als vorsilbe hat, .. das existiert eben /doch/ noch.

weil: man es ja nie verlernt hat und die gleichen methoden weiter anwendet, wie man sie noch von früher kennt, beim darstellen seines netzzwillings. weil man es unbewußt macht, in einem blogtext oder einem tweet oder bei facebook: das spielerische, leichte. diffuse selbstdarstellung. das flirten mit der situation. ganz unbewußt, wenn man interpretiert und reflektiert und deutet und zwar darauf (auf eine situation, ein setting) antworten möchte, aber nicht zu viel preisgeben. wenn man einen text wie diesen liest und ihn auf sich anwendet, wenn man ihn der eignungsprüfung unterzieht. weil man sich keine namen mehr merkt, sondern sich menschen anhand anderer artefakte einprägt, die sich vielleicht in der form von den ehemaligen unterscheiden, aber doch nicht im zweck. weil man sich schließlich auch ein bißchen besser kennt als damals ohne die internetze, und weil man die menschen ein bißchen besser kennt. und schätzt und einschätzt. und weil man eben von all dem weiß, der inszenierung, und von der möglichkeit von echtheit. weil man so sehr verinnerlicht hat, nirgendwo hundert prozent zu erwarten. weil berechenbarkeit langweilt. weil das manische klicken auf "check for new mail" fast das gleiche ist wie das frühere telefonhörer-anstarren und das ausprobieren, ob das telefon nicht vielleicht doch kaputt ist, weil es nicht klingelt. weil man die gleiche unsicherheit nur anders wahrnimmt, weil man sie vielleicht nicht mehr sofort "flirt" nennt, sondern "vorsicht". weil man mit all dem spielt, aus neugierde, so wie man früher mit lego gespielt hat, nämlich nach einer phase des bauanleitung-befolgens irgendwann die phase der kreativität, die phase, in der man die tools benutzt hatte, um neues und unbeabsichtigtes zu erreichen: bedeutung konstruieren mit der /art/, wie man facebook und twitter und myspace benutzt. weil dann eben doch wieder unterschiede da sind, zwischen absicht und inszenierung erstens, zwischen geschriebenem text und inhalt zweitens, und zwischen auswirkung und bedeutung zum dritten. und all das bewirkt, erwirkt dieses gefühl von spannung und vermutung, von ahnung und enttäuschung, von planung und zufall. flirten mit dem medium. wir produzieren unsere ungewißheit schon ganz automatisch.

es ist nämlich nicht das unglück im gegensatz zum glück, das kreativ macht und einen zum staunen und äußer(e)n bringt. es ist die ungewißheit im gegensatz zur sicherheit, die wir (-- wir beide, hoffe ich, und ihr anderen vielleicht auch --) so sehr benötigen um zu funktionieren. und die diesem ganzen blog-, social-, virtual-, zwonull-quatsch dann schließlich doch noch eine art sinn gibt.

und dann kommt man morgens an den schreibtisch und merkt, daß der akku schlapp gemacht hat über nacht. und während der kaffee kocht und der rechner mit echtstrom wieder hochfährt, malt man sich aus, mit welcher tragik jetzt gerade das textkonzept verloren ging, das man heute nacht um halb drei noch in notepad skizziert hatte, und kaum sitzt man mit dem kaffee dann am rechner, ist all das wieder da, denn bei leerem akku fährt das notebook wohl doch noch halbwegs ordentlich runter und all das verlorengeglaubte ist doch noch da und man resigniert so ein bißchen, weil man schon das entsetzte gesicht drauf hatte und jetzt doch nur wieder einen meta-text schreiben muß. vielleicht sollte ich mich in zukunft beim autofahren ja einfach wirklich mal nicht mehr anschnallen.

("man sollte blogtexte immer illustrieren, hat mir jemand mal gesagt", hat mir jemand mal gesagt. "sonst liest das keiner", hat mir jemand mal gesagt. "aber ich glaube, ich mag doch diese ungewißheit", habe ich dann geantwortet. aber jetzt kann ich ja viel behaupten.)

some velvet morning

(a propos thin white rope //

"lieschen?", sagt er, als er sich zu mir umdreht und fragend guckt. ich lächle, weil ich eher selten lieschen genannt werde einerseits, und weil ich seine frau - das wahrscheinliche lieschen - schon vor mindestens 100 metern überholt und mich seitdem gefragt habe, wann er merkt, daß lieschen unter einem einkaufsbummel etwas anderes versteht als einmal im laufschritt über die friedrichstraße zu eilen, andererseits. er antwortet "huch!" auf mein lächeln, und uns beiden geht in diesem moment der gleiche gedanke durch den kopf. mal abgesehen davon, daß wir zwecks weihnachtsshopping im weitesten sinne unterwegs sind, und das einzige, was einen in solchen momenten retten kann, ist lächeln. (auch so eine sache, die man noch vor fünf jahren niemandem geglaubt hätte -- daß man jemals so ticken, daß man das jemals so verstehen würde, dieses alles.)

und dann steht man am nächsten tag nach ungefähr zwei stunden schlaf am bahnhof, mit dem imperialistenkaffeebecher in der hand, in den nebel starrend und die kälte ignorierend, und jenes gefühl stellt sich wieder ein. das gefühl der verbundenheit von dingen, die selbst vielleicht noch nicht mal ahnen, daß eine verbindung zwischen ihnen besteht. man denkt an das eine mädchen, in das man noch vor ein paar stunden verknallt war, und an das andere natürlich, dessen rechter nasenflügel immer so ganz bezaubernd ein bißchen vibriert, wenn es lächelt. und gelächelt hat es oft, denn deswegen hat man so gut geschlafen, obwohl es nur zwei stunden waren, und gewissermaßen sind ja die leute, mit denen man sein leben verbringt, schuld an allem, verantwortlich für alles. (meinten sie "außer sich sein"?) irgendein promo-info-stand in bahnsteignähe spielt laut "the power of love" zwischen all den kitsch-kuschelrock-songs mit weihnachts-vibe, und zwei gleise weiter bildet jemand zum refrain eine band mit mir: stummes karaōke in stereo, und ich muß wieder an die manics denken, we love the winter / it brings us closer together. denn im gegensatz zur stadtläufigen meinung mag ich berlin im winter ja doch fast lieber. und dann lese ich im neuen dummy einen text über rolf eden und sein verständnis von glück, das zu einem guten teil aus verdrängung besteht, und dann ist der ganze stil-nihilismus wieder wie weggeblasen. toll. bei gelegenheit muß ich meinem freundeskreis ja doch mal mitteilen, daß ich stolz auf ihn bin, ihn mag, ihn schätze. also jeden einzelnen.

246 km/h, sagt das ice-infodisplay. sechs stunden zeit für hobbysoziologische studien neurotischer pre-weihnachts-bahnfahrer. irgendwann später werde ich dem rothaarigen mädchen hier gegenüber im zug vielleicht noch sagen, daß ich

ach, .. klammer zu.

es gibt einen unterschied zwischen denen, die wissen, daß sie nach der landung am flughafen abgeholt werden, und denen, die sich überraschen lassen müssen; laut ist leben, leise der tod und dieser unterschied macht sich schon während des landeanflugs in den gesichtern bemerkbar. die dritte gruppe -- jene, die wissen, daß sie nicht abgeholt werden -- ist zwar nicht zwangsläufig besser gelaunt, aber unverkrampfter. zweck-loser, gewissermaßen. //

[also, nämlich: wie sehr man das den leuten doch ansieht, ob sie abgeholt werden wollten oder nicht, darum geht es. immer bemüht um stumpfheit in der außenwirkung, aber unter den augen funkelt es, und damit verraten sie sich.]

auf dem heimweg im taxi sitzen und ungeachtet der eigentlichen selbstwahrnehmung als wetterberichtscholeriker auf einmal den schnee verstehen. also: nicht den informationsgehalt überinterpretieren, überhaupt auch nicht die situation "huch, es schneit!" meinen, sondern -- einen dieser momente erleben, die an kitsch kaum zu übertreffen sind. der taxifahrer hört radio paradiso, es läuft "bright eyes (burning like fire)", natürlich, und die schneeflocken wirken dazu ungefähr so, als hätte jemand den schlechten "starfield"-screensaver in zeitlupe abgespielt. nicht den schnee an sich, sondern plötzlich das /situative/ schätzen, als würde man das nicht sowieso schon so oft wie möglich im leben praktizieren; aber vielleicht ist es dann ja auch die überraschung über einen selbst, wegen der man staunt. schnee nicht faktisch, sondern szenisch verstehen. während art garfunkel singt und man sich sowohl schwer uncool als auch unglaublich abgeklärt vorkommt. gleichzeitig.

und das still gedachte dann auch wirklich laut aussprechen, denn die wette gegen sich selbst ist eh längst verloren: den taxifahrer darum bitten, noch eine runde weiterzufahren, denn der song ist ja noch nicht zu ende. das lächeln beim aussteigen später ist dann auch zur einen hälfte ein ironisches, zur anderen ein ernstgemeintes. so ernstgemeint ein lächeln eben sein kann. aber das wichtigste dabei ist eben doch immer wieder die musik.

homo homini luxus

daß ich hier zur zeit nichts schreibe, liegt übrigens daran, daß ich zur zeit auch fast nichts lese. wenn ich schriebe, würde sicher irgendein kosmisches yin-yang (rufname: norbert) aus dem gleichgewicht geraten, und was dann passiert, also wenn dinge mit solchen namen aus gleichgewichten geraten, wissen wir ja dank der unfaßbar beknackten bärenmarke-fernsehwerbung -- armageddon ist ein kirschkuchen dagegen. (ein kirschkuchen, der auch nichts liest, übrigens.)

übrigens: wenn jacques brel gott ist, ist scott walker die bibel.

taiwan (12) - die sache mit dem sich-verstehen

aber es geht ja auch gar nicht darum, um das /verstehen/. ging es noch nie. weder im deutschunterricht noch in der privaten lektüre, weder in blogs noch im richtigen leben, weder im ausland noch im inland. sondern es geht vielmehr und /immer/ um die anwendung, um die interpretation, die adaption des aufgenommenen. die transformation, das einpassen des gelesenen/gehörten in die eigene situation. livejournal's what you make it.

(als ob man's nicht wüßte.)

taiwan (11) - die sache mit dem essen

vielleicht sollte man aber auch im langweiligen leben daheim öfter mal luxusrisiken eingehen wie hier: dinge essen, von denen man den namen nicht kennt, und die dann entweder erstaunlich gut, erstaunlich langweilig, erstaunlich ekelerregend oder eben erstaunlich erstaunlich schmecken. genau wie man auch leute aus indien, frankreich, taiwan, australien, kolumbien und österreich kennenlernt im persönlichen austausch und im rahmen der konferenz, -- genauso lernt man auch den umgang mit den chopsticks, die kommunikation im restaurant, die no-tipping-gepflogenheiten: ganz nebenbei, ganz subtil, also so, wie es am einfachsten ist. und dinner-varianten, die man sich dann vornimmt auch in berlin mal auszuprobieren. 10-gang-menüs mit lustigen seegurkensuppen und erbsen-dessert. und auch immer wieder erfrischungstüchlein, schlimmstenfalls die von hello kitty.

aber vor allem die lokalen spezialitäten, an die man sich beim frühstücksbuffet im hotel immer noch nicht so ganz rantraut german cuisine ("hast du schon von den spinnenbeinen probiert?" -- "nein, ich wollte erstmal von dem glibberobst versuchen."), das legendäre "stinky tofu" (das zugegebenermaßen schlimm riecht, aber eben auch nur harmlos tofuesk schmeckt), das dunkelgelbe zeug mit dem frosch-cartoon auf dem dazugehörigen schild, von dem keiner so genau weiß, wie er die zusammensetzung beschreiben soll. oder die kandierten tomaten mit schwarzem irgendwas, neben den blutwurstartig aussehenden frittierstäbchen. und der milchige tee mit schwarzen flummi-bröckchen drin. und vor der ankunft nimmt man sich noch die klassischen reiseführer-tips zu herzen (nur dort essen gehen, wo auch einheimische sind; nur dort essen gehen, wo es nicht /zu/ sauber ist; …), aber nach zwei tagen spätestens wirft man all das über den haufen, weil man selbst erstaunt ist, was der eigene magen so alles verträgt. ohne tabletten, ohne gewöhnung, ohne brechreiz, weil und wenn man nicht großartig darüber nachdenkt, wie das viech vor der zubereitung mal aussah. vegetarier-sein kann man dann ja auch wieder zu hause.

eigentlich wird nächste woche das schwierigste sein, back home, nicht noch mehr zum klugscheißer zu werden als man es sowieso schon ist: nicht im asiatischen restaurant andauernd anmerken zu wollen, daß es in taipeh viel leckerer und abenteuerlicher war. zieh' dich schonmal warm an, monsieur vuong.