some velvet morning

(a propos thin white rope //

"lieschen?", sagt er, als er sich zu mir umdreht und fragend guckt. ich lächle, weil ich eher selten lieschen genannt werde einerseits, und weil ich seine frau - das wahrscheinliche lieschen - schon vor mindestens 100 metern überholt und mich seitdem gefragt habe, wann er merkt, daß lieschen unter einem einkaufsbummel etwas anderes versteht als einmal im laufschritt über die friedrichstraße zu eilen, andererseits. er antwortet "huch!" auf mein lächeln, und uns beiden geht in diesem moment der gleiche gedanke durch den kopf. mal abgesehen davon, daß wir zwecks weihnachtsshopping im weitesten sinne unterwegs sind, und das einzige, was einen in solchen momenten retten kann, ist lächeln. (auch so eine sache, die man noch vor fünf jahren niemandem geglaubt hätte -- daß man jemals so ticken, daß man das jemals so verstehen würde, dieses alles.)

und dann steht man am nächsten tag nach ungefähr zwei stunden schlaf am bahnhof, mit dem imperialistenkaffeebecher in der hand, in den nebel starrend und die kälte ignorierend, und jenes gefühl stellt sich wieder ein. das gefühl der verbundenheit von dingen, die selbst vielleicht noch nicht mal ahnen, daß eine verbindung zwischen ihnen besteht. man denkt an das eine mädchen, in das man noch vor ein paar stunden verknallt war, und an das andere natürlich, dessen rechter nasenflügel immer so ganz bezaubernd ein bißchen vibriert, wenn es lächelt. und gelächelt hat es oft, denn deswegen hat man so gut geschlafen, obwohl es nur zwei stunden waren, und gewissermaßen sind ja die leute, mit denen man sein leben verbringt, schuld an allem, verantwortlich für alles. (meinten sie "außer sich sein"?) irgendein promo-info-stand in bahnsteignähe spielt laut "the power of love" zwischen all den kitsch-kuschelrock-songs mit weihnachts-vibe, und zwei gleise weiter bildet jemand zum refrain eine band mit mir: stummes karaōke in stereo, und ich muß wieder an die manics denken, we love the winter / it brings us closer together. denn im gegensatz zur stadtläufigen meinung mag ich berlin im winter ja doch fast lieber. und dann lese ich im neuen dummy einen text über rolf eden und sein verständnis von glück, das zu einem guten teil aus verdrängung besteht, und dann ist der ganze stil-nihilismus wieder wie weggeblasen. toll. bei gelegenheit muß ich meinem freundeskreis ja doch mal mitteilen, daß ich stolz auf ihn bin, ihn mag, ihn schätze. also jeden einzelnen.

246 km/h, sagt das ice-infodisplay. sechs stunden zeit für hobbysoziologische studien neurotischer pre-weihnachts-bahnfahrer. irgendwann später werde ich dem rothaarigen mädchen hier gegenüber im zug vielleicht noch sagen, daß ich

ach, .. klammer zu.

es gibt einen unterschied zwischen denen, die wissen, daß sie nach der landung am flughafen abgeholt werden, und denen, die sich überraschen lassen müssen; laut ist leben, leise der tod und dieser unterschied macht sich schon während des landeanflugs in den gesichtern bemerkbar. die dritte gruppe -- jene, die wissen, daß sie nicht abgeholt werden -- ist zwar nicht zwangsläufig besser gelaunt, aber unverkrampfter. zweck-loser, gewissermaßen. //

[also, nämlich: wie sehr man das den leuten doch ansieht, ob sie abgeholt werden wollten oder nicht, darum geht es. immer bemüht um stumpfheit in der außenwirkung, aber unter den augen funkelt es, und damit verraten sie sich.]

auf dem heimweg im taxi sitzen und ungeachtet der eigentlichen selbstwahrnehmung als wetterberichtscholeriker auf einmal den schnee verstehen. also: nicht den informationsgehalt überinterpretieren, überhaupt auch nicht die situation "huch, es schneit!" meinen, sondern -- einen dieser momente erleben, die an kitsch kaum zu übertreffen sind. der taxifahrer hört radio paradiso, es läuft "bright eyes (burning like fire)", natürlich, und die schneeflocken wirken dazu ungefähr so, als hätte jemand den schlechten "starfield"-screensaver in zeitlupe abgespielt. nicht den schnee an sich, sondern plötzlich das /situative/ schätzen, als würde man das nicht sowieso schon so oft wie möglich im leben praktizieren; aber vielleicht ist es dann ja auch die überraschung über einen selbst, wegen der man staunt. schnee nicht faktisch, sondern szenisch verstehen. während art garfunkel singt und man sich sowohl schwer uncool als auch unglaublich abgeklärt vorkommt. gleichzeitig.

und das still gedachte dann auch wirklich laut aussprechen, denn die wette gegen sich selbst ist eh längst verloren: den taxifahrer darum bitten, noch eine runde weiterzufahren, denn der song ist ja noch nicht zu ende. das lächeln beim aussteigen später ist dann auch zur einen hälfte ein ironisches, zur anderen ein ernstgemeintes. so ernstgemeint ein lächeln eben sein kann. aber das wichtigste dabei ist eben doch immer wieder die musik.

homo homini luxus

daß ich hier zur zeit nichts schreibe, liegt übrigens daran, daß ich zur zeit auch fast nichts lese. wenn ich schriebe, würde sicher irgendein kosmisches yin-yang (rufname: norbert) aus dem gleichgewicht geraten, und was dann passiert, also wenn dinge mit solchen namen aus gleichgewichten geraten, wissen wir ja dank der unfaßbar beknackten bärenmarke-fernsehwerbung -- armageddon ist ein kirschkuchen dagegen. (ein kirschkuchen, der auch nichts liest, übrigens.)

übrigens: wenn jacques brel gott ist, ist scott walker die bibel.

taiwan (12) - die sache mit dem sich-verstehen

aber es geht ja auch gar nicht darum, um das /verstehen/. ging es noch nie. weder im deutschunterricht noch in der privaten lektüre, weder in blogs noch im richtigen leben, weder im ausland noch im inland. sondern es geht vielmehr und /immer/ um die anwendung, um die interpretation, die adaption des aufgenommenen. die transformation, das einpassen des gelesenen/gehörten in die eigene situation. livejournal's what you make it.

(als ob man's nicht wüßte.)

taiwan (11) - die sache mit dem essen

vielleicht sollte man aber auch im langweiligen leben daheim öfter mal luxusrisiken eingehen wie hier: dinge essen, von denen man den namen nicht kennt, und die dann entweder erstaunlich gut, erstaunlich langweilig, erstaunlich ekelerregend oder eben erstaunlich erstaunlich schmecken. genau wie man auch leute aus indien, frankreich, taiwan, australien, kolumbien und österreich kennenlernt im persönlichen austausch und im rahmen der konferenz, -- genauso lernt man auch den umgang mit den chopsticks, die kommunikation im restaurant, die no-tipping-gepflogenheiten: ganz nebenbei, ganz subtil, also so, wie es am einfachsten ist. und dinner-varianten, die man sich dann vornimmt auch in berlin mal auszuprobieren. 10-gang-menüs mit lustigen seegurkensuppen und erbsen-dessert. und auch immer wieder erfrischungstüchlein, schlimmstenfalls die von hello kitty.

aber vor allem die lokalen spezialitäten, an die man sich beim frühstücksbuffet im hotel immer noch nicht so ganz rantraut german cuisine ("hast du schon von den spinnenbeinen probiert?" -- "nein, ich wollte erstmal von dem glibberobst versuchen."), das legendäre "stinky tofu" (das zugegebenermaßen schlimm riecht, aber eben auch nur harmlos tofuesk schmeckt), das dunkelgelbe zeug mit dem frosch-cartoon auf dem dazugehörigen schild, von dem keiner so genau weiß, wie er die zusammensetzung beschreiben soll. oder die kandierten tomaten mit schwarzem irgendwas, neben den blutwurstartig aussehenden frittierstäbchen. und der milchige tee mit schwarzen flummi-bröckchen drin. und vor der ankunft nimmt man sich noch die klassischen reiseführer-tips zu herzen (nur dort essen gehen, wo auch einheimische sind; nur dort essen gehen, wo es nicht /zu/ sauber ist; …), aber nach zwei tagen spätestens wirft man all das über den haufen, weil man selbst erstaunt ist, was der eigene magen so alles verträgt. ohne tabletten, ohne gewöhnung, ohne brechreiz, weil und wenn man nicht großartig darüber nachdenkt, wie das viech vor der zubereitung mal aussah. vegetarier-sein kann man dann ja auch wieder zu hause.

eigentlich wird nächste woche das schwierigste sein, back home, nicht noch mehr zum klugscheißer zu werden als man es sowieso schon ist: nicht im asiatischen restaurant andauernd anmerken zu wollen, daß es in taipeh viel leckerer und abenteuerlicher war. zieh' dich schonmal warm an, monsieur vuong.

taiwan (10) - die sache mit berlin

uns haut nichts um.

wir lächeln auch nach durchgemachten nächten, egal ob wir feiern oder flennen waren. wir verdrängen unsere probleme zwar nicht, aber wir kehren sie unter den teppich, der diesen privaten anstrich hat, und wer uns durchschauen will, den blocken wir so freundlich ab wie es nur irgendwie geht. das gesicht zu verlieren ist schließlich fast so schlimm wie jemand anderen sein gesicht verlieren zu lassen. die phase zwischen den zuständen, die man immer erst im nachhinein als solche zu identifizieren in der lage ist, -- an die gewöhnen wir uns, und dieses bewußtsein prügeln wir auch in unsere kontexte hinein. die außenwirkung wird schon folgen. denn nähe ist mode, oder zumindest schlechter einfluß. das haben wir irgendwo mal gelesen und seitdem ist es dogma und mantra. wenn dinge nicht glatt laufen, dann definieren wir "glatt" einfach um, nicht nur zwischenmenschlich. man steckt eben drin, und interpretation (oder wenigstens identifikation und deutung) funktioniert schließlich nur von außen. aber von außen lassen wir uns nichts sagen, jedenfalls nicht dauerhaft und nicht so, daß wir es umsetzen würden. und wir akzeptieren und tolerieren, stetig, und reden uns ein, daß keine alternativen dazu existieren.

taipeh: sign at asus building

allzu weit entfernt sind wir also nicht einmal voneinander. until we're back home, dann trennen uns wieder welten. aber auch das ist ja eigentlich nichts neues.

(wir)

was man doch alles verpaßt, nur weil man nicht genau genug hin sieht, weil man nicht schnell genug hin sieht, weil man nicht hochauflösend genug hin sieht, weil man nicht tief genug hin sehen kann. da sind welten versteckt, überall, von denen man nicht mal ahnt. aber man spürt, daß man sich außerhalb bewegt, daß man an der richtigen ausfahrt vorbeigefahren oder irgendwo falsch abgebogen ist, und die strecke ist dann zwar auch eine interessante und neue, aber eben nicht die, die einen eigentlich und ursprünglich interessiert hätte. und vielleicht entstehen ja auch /nur/ daraus alle miß- & verständnisse dieser welt. aus der kombination solcher verpassungen, verfehlungen, versehen und entlangschrammungen. "nobody ever loves anyone properly".

taiwan (9) - die sache mit der oberfläche

trotzdem aber dann das gefühl, als könne man all die eindrücke und empfindungen eben doch nur oberflächlich beschreiben. vielleicht nicht gerade im reiseführer-stil, wo nur die sogenannten sehenswürdigkeiten (auch so ein eigenartig-kaputter begriff, der mal dringend durch einen schickeren neologismus abgelöst gehört) inklusive eintrittspreisen und stadtplankoordinaten aufgelistet und beschrieben werden, -- aber eben doch nur in form von anekdoten und beispielchen. die dann zusammengenommen ein bild ergeben, das im idealfall ein gefühl für die zu beschreibende gegend erzeugt, aber in wirklichkeit eben nur an der oberfläche dessen kratzt, wie es wirklich ist. man kapituliert ein bißchen vor der mittelbarkeit, wie üblich.

man könnte sich etwas zusammenbasteln aus der tatsache, daß hier überdurchschnittlich viele jungs brillen tragen. daß die uhren, die in der tankam university die zeitzonen der wichtigsten städte zeigen sollen, alle stehengeblieben sind bis auf die eine mit der lokalen uhrzeit. daß taxifahrer betelnüsse kauen und auf ihrem im taxi eingebauten fernseher telenovelas gucken. während der fahrt. taipei station daß fast überall klassisch gemeinte musik läuft, vom fahrstuhl bis zum coffeeshop, gern auch in einer gema-pendant-freien xylophon-version. daß es vollkommen selbstverständlich ist, daß buffet-überreste nicht weggeworfen, sondern in doggybags aufgeteilt mit nach hause genommen werden. daß trotz merklichen werbe-overkills im öffentlichen raum fast nirgendwo coke und pepsi nerven. daß die flure im hotel every few minutes auf den desired smell gebracht werden, mit einem sanften zischen aus dem festinstallierten robo-raumspray-zerstäuber. daß die bedienung im restaurant stolz erzählt, auch schonmal in deutschland gewesen zu sein, aber erst ihren mann fragen gehen muß um herauszufinden, in welcher stadt genau. und der weiß es dann auch nicht. daß es hier praktisch nie zu unfällen kommt, wahrscheinlich gerade wegen und nicht trotz der unverkrampften fahrweise.

all das in verbindung mit der mittlerweile oft genug beschriebenen herzlichkeit und smoovität, die einen durchschnittlichen mitteleuropäer eben doch immer noch erstaunt, wenn er hier unterwegs ist; all das in verbindung mit den niedrigen preisen, den dimensionen der stadt, der (politischen/internationalen) rolle des landes; -- all das ergibt leider noch immer nicht das bild, das man bereits dann bekommt, wenn man gerade mal ein paar tage in taipeh unterwegs ist.

taiwan (8) - die sache mit der relation

was aber eben auch beeindruckt, wenn sich die ganzen anderen dinge erstmal gesetzt haben und aus dem staunen das stellenweise wundern geworden ist: daß es einem gar nicht so eng vorkommt. auf der insel leben 23 millionen menschen, die fläche ist zwar so groß wie baden-württemberg, aber zwei drittel davon bestehen aus dschungeln und bergen im landesinneren. ups-delivery-guy on vespa eigentlich erwartet man also ein füßetreten und um-menschen-herumschlängeln, aber das gibt es nur ansatzweise in der rush hour auf den hauptstraßen, und kaum betritt man die kleineren seitenstraßen oder die engen hinterhofgassen, wirkt alles schon wieder wie ausgestorben und ruhig. die gegensätze sind wohl größer, auch innerhalb der stadt, der signal-rausch-abstand höher. wenn man bereits um mitternacht aus einem kleinen keller-café kommt, weil dieses schließen muß aufgrund von anwohnerbeschwerden, kann man auf der straße zum ersten mal /hören/, wie taipeh klingt, wenn /es/ klingt, und nicht seine menschen und sein verkehr und seine betriebsamkeit. und auch wenn es niemandem aufzufallen scheint in so einem moment, zumindest keinem der gastgeber und der an taipeh gewöhnten, so ist das doch auch wieder eine jener wahrnehmungen, bei denen man erstaunt ist und lächelt und mit der neugelernten sicht auf diesen teil der welt erstmal seine erwartungshaltung konditionieren muß: damit diese mal nicht mehr ganz so herrisch auftritt, in zukunft. (aber das gilt ja eh in allen lebenslagen und nicht nur beim reisen.)